FUSSBALL: HNA-Zeitung: Die Stille vor dem Schuss

Auf den Waldauer Wiesen trafen sich gehörlose Fußballer zu einem Turnier

 

Irgendwas ist anders – dieses Gefühl beschleicht Besucher der Waldauer Wiesen sofort. Der Grund: Es ist zu still. Dort, wo sonst auf dem Fußballplatz geflucht und geschimpft wird, sind nur vereinzelt Schreie zu hören.

Besprechung vor dem Spiel: Hans Horn (von links), Gerhard Drönner, Dietrich Tschirner und Frank Hoffmann vom GSV Kassel unterhalten sich. „Ab in die Ecke mit dem Ball“, erklärt Hoffmann in Gebärdensprache.

 

Foto: Herzog

 

Dabei ist es äußerlich ein normaler Fußballsamstag: Am Himmel brennt die Sonne, auf dem Rasen werden Bälle getreten, am Rande essen Menschen Bratwurst und unterhalten sich – allerdings fast lautlos: Sportler und Zuschauer verwenden Gebärdensprache.

Der Grund: Der Gehörlosen Sportverein Kassel 1970 (GSV) hat zu einem speziellen Fußballturnier eingeladen. Verein und Fußballabteilung bestehen nämlich seit mittlerweile 40 Jahren. Um das zu feiern, sind 28 Gehörlosenmannschaften aus der Region und ganz Deutschland nach Kassel gekommen. Dabei sind Damen-, Herren-und Jugendteams.

Dadurch, dass fast alle Teilnehmer gar nicht oder nur sehr schlecht hören, steht die Welt an diesem Samstag auf den Waldauer Wiesen kopf: Hörende, die sich auf den Platz wagen, fühlen sich plötzlich fremd.

Am Spielfeldrand scherzen ein paar Jugendliche, lachen laut. Worüber? Keine Ahnung. Wer keine Gebärdensprache beherrscht, kann nur höflich lächeln.

Dabei sind die gehörlosen Sportler keineswegs abweisend: Freundlich versuchen sie zu verstehen und zu helfen. Doch wer nicht ihre Gebärdensprache spricht, hat es schwer. Daher fangen selbst Hörende irgendwann wild zu gestikulieren an – offensichtlich sehr zur Erheiterung der Gehörlosen.

Doch zum Glück gibt es Gerhard Drönner. Der GSV-Spieler ist schwerhörig, kann mit Hörgerät dolmetschen. Während des Spiels darf er das allerdings nicht tragen: Weil Hörende durch Zurufe einen Vorteil haben, müssen sie ohne Hörgerät antreten.

Für die Schiedsrichter ist das ein Problem: Ein Foul zu pfeifen, ist für sie ebenso schwer, wie ein Spiel mit einem Pfiff zu beenden. Daher regele der Unparteiische Fußballpartien mit Fahnen, sagt Drönner. An diesem Nachmittag gibt es aus Kostengründen aber nur im Finale einen Unparteiischen.

Doch auch wenn Gehörlose leiser spielen als Hörende: Ganz ohne Lautäußerungen geht es dann doch nicht: Denn als ein paar Verteidiger einen gegnerischen Angriff durchlassen, brüllt der Torwart seine Mitspieler an. Und selbst wenn sie es nicht gehört haben, wird klar: Verstanden haben sie es auf alle Fälle.

 

Von Göran Gehlen